Your browser is no longer supported. Please upgrade your browser to improve your experience.

Die Enttäuschten

Hier präsentierten wir die Ergebnisse unserer Studie, die auf die Arbeit von More in Common Deutschland aufsetzt.

Eine illustrative Darstellung zum Gesamttyp

Die Frage, ob es gerecht ist, wenn Bürger:innen mit besonders hohem CO2-Ausstoß mehr zum Klimaschutz beitragen, beantwortet dieser Typ mehrheitlich damit, dass alle Bürgerinnen und Bürger den gleichen Beitrag zum Klimaschutz leisten sollten. Das überrascht, da doch vor allem die Enttäuschten als tendenziell einkommensschwächerer Typ von einem “Polluter pays”-Ansatz entlastet würden. Zwei Interpretationsansätze kommen hierbei in Frage: Einerseits wollen die Enttäuschten möglicherweise verhindern, dass irgendjemand sich “etwas herausnimmt” und Vorteile im System verschafft; ein Ansatz, der gleiche Regeln für alle vorsieht, beugt dem eher vor als ein System aus Sonderregelungen. Eine zweite mögliche Erklärung könnte darin liegen, dass vielen Menschen die direkte Korrelation zwischen hohem Einkommen und überdurchschnittlichem CO2-Ausstoß bislang nicht klar ist und die Enttäuschten sich daher nicht bewusst sind, dass sie beispielsweise von einer CO2-Steuer besonders profitieren würden. Klimafreundliche Produkte sind meist teurer als konventionelle Produkte und somit für ärmere Menschen weniger erschwinglich. Gleichzeitig führen Urlaubsreisen sowie größere Häuser und Autos dazu, dass Menschen mit überdurchschnittlichem Einkommen in der Regel weitaus mehr Emissionen verursachen, selbst wenn sie in anderen Bereichen klimafreundliche Verhaltensweisen an den Tag legen.

Der Blick in die Zukunft enthält für die Enttäuschten wenig Perspektive. Gerade die negativen Erfahrungen aus der Corona-Pandemie, aber auch steigende Lebenshaltungskosten und die Angst vor Russlands (zu der Zeit der Befragung noch nicht ausgebrochenem) Krieg gegen die Ukraine machen den Enttäuschten vielfach große Angst. Manche äußern eine Hoffnung auf Besserung und dass Dinge zur ‘Normalität von vor Corona’ zurückkehren, aber glauben nicht wirklich daran. Hier fehlt es also nicht nur an positiven Zukunftsvisionen, sondern gleichzeitig scheint eine Romantisierung der jüngeren Vergangenheit stattzufinden. Mit Bezug auf den Klimaschutz sehen die Enttäuschten daher auch sehr wenig Hoffnung. So glauben sie am wenigsten von allen sechs Typen an positive Nebeneffekte von Klimaschutzmaßnahmen in anderen Lebensbereichen. Bei direkter Nachfrage in den Fokusgruppen gab niemand unter den Enttäuschten an, zu glauben, Deutschland könnte in zehn Jahren ein besserer Ort zum Leben sein als jetzt.

Egal wie fleißig man ist oder sich Mühe gibt [beim Klimaschutz], man wird der Sache nicht Herr. In meiner Position denke ich, ich kann nicht mehr viel bewirken in diesem Moment, aber ich sehe, was passiert, und mir hat lange nicht mehr was Angst gemacht."

Ich hoffe, es wird besser. Wenn man momentan das so sieht oder was in den letzten drei Jahren sich entwickelt hat, wenn man das so weiterführt, denke ich schlechter. (…) Wie es vor vier Jahren war in Deutschland. Vielleicht so. Wenn man da anknüpfen könnte. Es liegt an Corona. Aber mit den Preissteigerungen, wie schon genannt wurde, den Schließungen. Mit teilweise wirklichen Defiziten in der Bildung, der Digitalisierung, was auch die Schulen angeht."

Die Enttäuschten identifizieren sich am wenigsten mit der Fridays-for-Future-Bewegung. FFF stellt für die Enttäuschten keineswegs ein Feindbild dar, allerdings sind Menschen, die sich in dieser Form für den Klimaschutz engagieren, der Lebenswelt der Enttäuschten völlig fern. 41 % der Enttäuschten sagen, dass FFF zu wenig klare Positionen habe, und 59 % von ihnen denken, dass die Bewegung zu wenig Glaubwürdigkeit habe. In dieser Einschätzung wird deutlich, wie groß die lebensweltliche Distanz zwischen diesem Typ und der Bewegung ist und wie wenig Verständnis sich beide Seiten derzeit entgegenbringen. Dieses Misstrauen ist sicherlich auch der Tatsache geschuldet, dass Vertrauen unter den Enttäuschten anderen gegenüber generell vergleichsweise niedrig ausgeprägt ist. Verglichen mit den übrigen Typen vertrauen die Enttäuschten selbst ihren Familien und Bekannten nur begrenzt, wenn diese sich zum Klimaschutz äußern.

Eine Pendlerin in einem Berliner Bus nutzt einen Fächer aufgrund der Hitze, 2020

Chancen

  • Gute Ergebnisse für die Gesellschaft herbeiführen: Die Enttäuschten werden durch Klimakommunikation vermutlich vorerst schwer zu erreichen sein. Um den Rückhalt dieses Typs für Klimaschutzmaßnahmen zu gewinnen, ist es besonders wichtig, dass die politischen Entscheider:innen in “Vorleistung” gehen und mittels ihrer Politik sowohl der Klimakrise entgegenwirken als auch spürbare positive Veränderungen im täglichen Leben der Menschen bewirken. Klimakommunikator: innen sollten sich für die Verringerung der sozialen Ungleichheit in der Gesellschaft sowie eine sozial-gerechte Klimapolitik einsetzen.
  • Wunsch nach Gemeinschaftsgefühl ernst nehmen und Möglichkeiten des kollektiven Handelns anbieten: Leere Versprechungen werden von den Enttäuschten erkannt und verstärken ihr bestehendes Misstrauen gegenüber der Politik. Geschichten von Menschen wie ihnen selbst, die davon erzählen, wie durch kollektives Handeln für den Klimaschutz ein Gefühl von Gemeinschaft entstanden ist, können die Enttäuschten am ehesten von den Co-benefits des Engagements für den Klimaschutz für ihr eigenes Leben überzeugen. Klimakommunikator:innen sollten den Enttäuschten in erster Linie zuhören und ihre Lebensrealität anerkennen. Erst dann sollten sie gezielt zu kollektiven niedrigschwelligen Klimaschutzaktivitäten einladen, bei denen sie sich als Teil der Gemeinschaft und wertgeschätzt fühlen können.

 

  • Finanzielle Entlastung durch sozial-gerechte Klimapolitik verständlich erklären: Die Enttäuschten fürchten bei Klimapolitik vor allem, dass die damit verbundenen gesellschaftlichen Kosten sie unverhältnismäßig stark treffen könnten. Klimapolitik muss deshalb sozial gerecht gestaltet und von einer klaren Kommunikation begleitet werden, die deutlich macht, dass Politikansätze wie das “Polluter pays” -Prinzip Menschen wie die Enttäuschten entlasten werden. Nur so kann die Sorge um finanzielle Überforderung gelindert werden. Klimakommunikator:innen sollten politische Ansätze wie ein Klimageld, die positive Anreize bilden und zur finanziellen Entlastung beitragen, leicht verständlich erklären.

Risiken

  • Vorsicht vor individuellen, anmaßenden Appellen – durch empathische Dialoge die Lebenswelt der Enttäuschten besser kennenlernen: Die Enttäuschten sind mit individuellen Appellen, die für diesen Typ unsensibel und anmaßend klingen können, leicht zu überfordern. Menschen, die Klimakommunikation betreiben, sind gesellschaftlich häufig sehr weit von den Enttäuschten entfernt und können sich nur schwer in ihre Lebenswelt hineinversetzen, weil sie im Alltag nur selten miteinander in Berührung kommen. Klimakommunikator:innen sollten deshalb gezielt neue (digitale wie analoge) Orte der Begegnung und des Zuhörens aufsuchen und selbst eröffnen. Sie sollten versuchen, durch empathisches Fragen und Zuhören die Lage, Interessen und Wünsche der Enttäuschten genauer zu verstehen und in der politischen Debatte als Multiplikator: innen ihre Reichweite zu nutzen, um auch anderen Gruppen gegenüber stärkeres Gehör für die Perspektiven der Enttäuschten zu verschaffen.
  • Vorsicht vor Stigmatisierung – durch nuancierte, sensible Kommunikation die Enttäuschten nicht (mehr) diskriminieren: Bei den Enttäuschten besteht außerdem das Risiko, dass eine Stigmatisierung ihrer Ansichten und Werte stattfindet, was zu einer stärkeren Polarisierung führen kann. Ein nicht ausreichend nuancierter gesellschaftlicher “Rundumschlag”, der die Enttäuschten als Hemmschuh der gesellschaftlichen Veränderung darstellt, kann bewirken, dass sie sich noch mehr als jetzt schon von der Klimabewegung ausgeschlossen fühlen und beginnen, sich ihr allein aus diesem Grund entgegenzusetzen, obwohl viele von ihnen grundsätzlich nichts gegen die meisten Klimaschutzmaßnahmen haben. Klimakommunikator: innen sollten daher auf eine inklusive und klare Sprachwahl achten und es vermeiden, verallgemeinernde Aussagen über Gruppen der Gesellschaft zu treffen, mit denen sie persönlich wenig in Berührung sind.

Empfehlung

  • Eine sozial-gerechte Energiewende: In vielerlei Hinsicht ist dieser Typ auf der Suche nach Gerechtigkeit – nach einer Klimapolitik, die Ungleichheiten und ungerechte Machtverhältnisse sowohl innerhalb Deutschlands als auch international ausgleicht. Die Sympathie für die Unterlegenen (sie selbst) und ein allgemeines Misstrauen gegenüber Eliten nähren den Wunsch nach einer Klimapolitik, die die Reichen fordert und die Armen unterstützt. Eine sozialgerechte Energiewende ist ein Ziel, von dem die Enttäuschten sich angesprochen fühlen; dies sollte allerdings mit Bedacht verwendet werden, da die Enttäuschten umfassenden und utopischen Versprechen einer gerechten Energiezukunft tendenziell misstrauen.

Weiter:
Die Wütenden

 

Sign up to our newsletter